Page 30 - Dähne Corporate Publishing | Sonderpublikation 40 Jahre BHB
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Der unbekannte Kunde
Wie bereit sind wir für unsere Kunden? Oder reden wir
nur über ihn, fragt sich der Ex-Toom-Chef und frühere
BHB-Prä sident Georg Rothacher.
Was genau wissen wir über entschieden wird (Zahlen, Daten, dend für den Einzelhandel ist der
unsere Kunden? Wir verfügen Fakten, Sachthemen), 80 Prozent demographische Wandel; d. h. die
über unendliches Zahlenmate- aber über den Bauch (Sympathie/ Überalterung der Gesellschaft und
rial, was Umsatz , Rohertrag, Er- Antipathie, Vertrauen, Skepsis, der Rückgang der Bevölkerung
gebnis, Durchschnittsbon, Anzahl Sicherheit/Unsicherheit, Angst sind zu berücksichtigen. Eine
oder Hoffnung). Betrachtung der zukünftigen
Es gibt verschiedene Konsum- Haushaltsentwicklung ist von
gruppen, die heute längst nicht entscheidender Bedeutung für die
mehr in Altersgruppen einzuteilen Ausrichtung des Einzelhandels.
sind. Da sind die Familien und So sind 50 Prozent aller Haus-
Gemeinschaftsorientierten, für halte in Berlin Single-Haushalte,
die Heirat und Familie, Gebor- davon wiederum 60 Prozent
genheit und Normalität wichtige Frauen. Ähnlich sieht es in Köln
Lebenseinstellungen sind. Dann aus. Die Zielgruppe der Frauen
gibt es die Soft-Individualisten, bedeutet ein riesiges Spektrum
Georg Rothacher meist Singles oder Zwei-Perso- an spezifischen Bedürfnissen mit
nen-Haushalte, die ständig auf viel Potenzial. Die Frauen im Bau-
der Suche nach Genuss und markt bedürfen einer separaten
der Kunden etc. betrifft. Wissen Erlebnis mit starker Freizeit- und Betrachtung, da sie völlig anders
wir auch, warum der Kunde bei Convenience-Orientierung sind. ihre Kaufentscheidungen treffen
uns kauft oder warum nicht? Ist Immer stärker wird die Multi-Me- als Männer.
es die Nähe, die Beratung, die dia-Generation, ausgestattet mit Durch Werbung, Aktionen,
Qualität oder die Auswahl oder PC und Internet, Smartphone Rabatte und Angebote haben
etwas ganz Anderes ? Kennen wir und TV. Sie lebt in einer Virtual wir unsere Kunden gezwungen,
unsere Kunden: männlich, weib- Reality, in Szenen und ist trend- nur noch auf den Preis zu achten.
lich, Altersgruppe, Beruf wie Ar- orientiert. Tendenziell steigend Wir selbst – also der Handel – hat
beiter, Handwerker, Beamter etc.? sind auch die Second-Life-People, seine Kunden zu Schnäppchen-
Da der Kunde auch in Zukunft die jungen Alten, die jung bleiben jägern erzogen und den Herstel-
die einzige Quelle ist, die über das durch jungen Konsum, mit frei zu lern niedrigere Einkaufspreise
Wohl des Händlers entscheidet, disponierender Zeit, i. d. R. Dop- abverlangt, was letztendlich zu
müssen wir viel mehr über ihn pelrentner mit gutem Einkommen. Qualitätsverlusten der Produkte
erfahren. Der Gehirnforscher H. G. In Deutschland leben ca. führte. Der Kunde erwartet Ange-
Häusel behauptet, dass mehr als zwei Prozent der Bevölkerung im bote, fühlt sich dabei aber nicht
70 Prozent unserer Kaufentschei- Luxus, acht Prozent im Reichtum, belohnt, sondern eher bestraft,
dungen unbewusst gesteuert 70 Prozent im Wohlstand und ca. weil er ständig vermutet, in der
werden. Ähnlich wie die Eisberg- 20 Prozent in Armut. Das Spar- Vergangenheit zu viel bezahlt
theorie von Sigmund Freud, nach volumen ist auf über 100 Mrd. € zu haben. Schlimmer noch, es
der 20 Prozent durch den Kopf angewachsen. Ganz entschei- werden keine seiner Wünsche wie
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