Page 12 - Caridina Ausgabe 03/2020
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Erinnerung





                                                 an mich selbst









                                                 tina Benneker ist Autorin für die „caridina“ und
                                                  Veranstalterin der Messe „Aqua-ruhr“. Anfang

                                                  April beschließt sie, sich ihre Eindrücke zur aktu-

                                                  ellen situation von der seele zu schreiben. Ihre
                                                  Gedanken stehen wahrscheinlich stellvertretend


                                                 für eine ganze generation.




                                             Vor  einigen  Wochen  wurden  die   daheim. Ich bekomme einen Zettel, falls die Ausgangs-

                                         ersten Meldungen vom Coronavirus ver-  sperre kommt: „Systemrelevante Person! Bitte Hin- und
                                      breitet. Anfangs hörten viele nicht richtig hin   Rückweg zur Arbeitsstätte gewähren/passieren lassen.“



                                – betri� uns ja nicht, oder? Ich habe den Nachrich-  Wir  machen  Stunden,  bleiben  länger,  bleiben

                              ten nicht viel Beachtung geschenkt, zu sehr war ich mit   freundlich. Die Menschen kaufen wie verrückt. Hams-


                              meinen eigenen Problemen und Sorgen beschäftigt.   tern! Toi lettenpapier, Mehl, Nudeln ständig vergriffen,

                              Angst um meinen Opa, der nach einem Sturz im Janu-  auf ein bis zwei Packungen pro Haushalt begrenzt. 70
                              ar ins Altenheim kam; das Haus musste schnellstens   Personen dürfen bei uns in den Markt, Hände und

                              geräumt und verkauft werden, die hohen Kosten fürs   Einkaufswagen werden am Eingang desinfiziert. Wir

                              Heim. Plötzlich hieß es, die Kinder müssen ab Montag   arbeiten weiter. Das Warenvolumen ist größer als vor
                              nicht mehr zur Schule – mir wird mulmig. Die Aufgaben   jedem Feiertag und muss verräumt werden. Wir be-
                              werden per E-Mail übermittelt und zurückgeschickt.   kommen von unserem Arbeitgeber einen 250-€-Ein-

                              Drucken, scannen, senden, drucken, scannen, senden,   kaufsgutschein als Dankeschön.
                              drucken… Was passiert da eigentlich gerade genau?
                                 Die Kontaktsperre folgt. Ich darf ein letztes Mal
                              kurz ins Altenheim, Opa wenigstens erklären, warum
                              ich nicht kommen kann. Ich habe Angst, dass er sich
                              abgeschoben fühlt. Ob er es verstanden hat, weiß ich

                              nicht wirklich. Er hat sich noch nicht richtig eingelebt.
                              Während ich auf der Arbeit an der Kasse sitze, rauscht
                              ein  Messebauteam  rein,  bringt  Plexiglasscheiben
                              als Spuckschutz an, Markierungen auf dem Boden:
                              2 Meter Abstand!
                                 Ich fühle mich etwas wie ein Affe im Zoo mit der


                              Paletten-Barriere, damit keiner mir zu nahe kommt.   Foto: © Kadmy – stock.adobe.com

                              Security folgt. Nur systemrelevante Geschäfte dürfen
                              öffnen, darunter Lebensmittel- und auch Zoogeschäfte.



                              Viele Menschen gehen in Kurzarbeit oder bleiben ganz
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