Page 47 - Caridina Ausgabe 03/2020
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BEI kältE GröSSEr
                Aus zellbiologischer Sicht ist die Größe ei-
                nes ausgewachsenen Individuums das Er-
                gebnis dreier Variablen: Dauer des Wachs-                                                  Zeichnung: Iconographia Zoologica, 1881-1883
                tums, absolute Anzahl der entstehenden
                Zellen und individuelle Größe dieser Zellen.
                Der Organismus muss auch seine momen-
                tane Größe und das Erreichen der endgül-
                tigen Maße erkennen können.
                  „Wir haben beobachtet, dass Hydra bei
                niedrigen Umgebungstemperaturen bis zu
                83 Prozent mehr Zellen bildet“, erklärt Dr.
                Jan Taubenheim. „Uns ist es zudem gelun-
                gen, die konkreten molekularen Signalwe-
                ge, die den Einfluss auf die Zellenanzahl
                umsetzen, zu identifizieren.“ Diese soge-
                nannten Wnt- und TGF-Beta-Signale sind
                etwa auch an der Embryonalentwickung
                und Zellldifferenzierung beteiligt.
                  Mortzfeld: „Die Wnt-Signale bestimmen
                bei Hydra den Übergang vom Wachstum
                in eine stationäre Phase. Daher vermuten
                wir, dass sie dem Organismus als Messin-
                strument dienen, um die eigene Größe fest-  Hydra viridis.
                zustellen und das Wachstum zu beenden.“
                  Neben der Temperatur tragen bestimm-  unIVErSEllE prInzIpIEn                                               Zeichnung: In brook and bayou; or, Life in the still waters, 1897.
                te  für  den  Insulin-Signalweg  zuständige   „Umwelteinflüsse und genetische Faktoren
                Erbinformationen zur Größenregulierung   sind in einem mehrstufigen Ablauf und in
                der Nesseltiere bei. Das Ausschalten die-  einer  festen  Reihenfolge  hintereinan-
                ser Gene führte zu einer bis zu 41 Prozent   dergeschaltet  und  greifen  auf  dieselben
                kleineren Körpergröße bei den Polypen.  zellulären  Regulationsmechanismen  zu-
                                                     rück“, erläutert Professor Thomas Bosch.
                                                     Gemeinsam steuerten sie Zellenanzahl und
                                                     -größe sowie die Dauer der Wachstums-
                Ein Süßwasserpolyp                   phase und bewirkten im Zusammenspiel
                                                Foto: Oliver Mengedoht  schiedlichen  Körpergrößen  resultieren
                in einem Aquarium.                   eine große Variabilität, die in sehr unter-  Hydra greift einen Wasserfloh an.


                                                     könne.
                                                       Diese neuen Erkenntnisse am Beispiel
                                                     des Modellorganismus Hydra tragen laut
                                                     den Forschern dazu bei, universelle Prin-
                                                     zipien bei vielzelligen Lebewesen zu iden-
                                                     tifizieren. Demnächst soll der Einfluss der
                                                     Bakterienbesiedlung des Körpers auf die     lItErAtur
                                                     Wachstums-Steuerungsprozesse  unter-        Benedikt M. Mortzfeld et al.
                                                     sucht werden. „Wir vermuten, dass auch      (2019): Temperature and insulin
                                                                                                 signaling regulate body size in
                                                     die symbiotischen Mikroorganismen des       Hydra by the Wnt and TGF-beta
                                                     Körpers untrennbar mit der Regulierung      pathways. Nature Communications:
                                                     der Individualentwicklung und damit des     doi.org/10.1038/s41467-019-
                                                                                                 11136-6
                                                     Größenwachstums verbunden sind.“



                                                                                                                         47
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