Page 47 - Aquaristik Fachmagazin Ausgabe 05/2022
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Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universi-
tät Bonn hat nun aber gezeigt, dass beide
Arten sogar rechnen können. „Wir haben
den Fischen beigebracht, einfache Addi-
tionen und Subtraktionen durchzuführen“,
erklärt Schlüssel. „Dabei mussten sie einen
Ausgangswert um eins erhöhen oder ver-
mindern.“
Doch wie fragt man einen Blauen Ma-
lawi buntbarsch nach dem Ergebnis von
„2+1“ oder „5-1“? Die Forschenden nutz-
ten dazu eine Methode, mit der andere
Arbeitsgruppen bereits erfolgreich die Der Versuchsaufbau für die Malawi-Buntbarsche und Süßwasser-Stechrochen.
mathematischen Fähigkeiten von Bienen
getestet hatten: Sie zeigten den acht Cichli-
den (Maylandia zebra) und acht Süßwasser-
Stechrochen (Potamotrygon motoro) eine
Ansammlung geometrischer Formen, zum
Beispiel vier Quadrate. Waren diese Objekte
blau gefärbt, bedeutete das „addiere eins“.
Gelb hieß dagegen „subtrahiere eins“. Foto: Prof. Dr. Vera Schlüssel/Uni Bonn
Danach wurde die Aufgabe ausgeblen-
det und die Tiere bekamen zwei neue
Abbildungen zu sehen, eine mit fünf und
eine mit drei Quadraten. Schwammen sie
zu dem richtigen Bild (also bei der „blauen“ Einige der Versuchstiere aus dem Experiment: Stachelrochen (links) und Buntbarsche
Rechenaufgabe zu den fünf Quadraten), (orange Farbform).
wurden sie mit Futter belohnt. Bei der fal-
schen Antwort gingen sie leer aus. Mit der dert. So bekamen die Fische nicht immer Sexualpartner achten oder die Menge der
Zeit lernten sie so, die blaue Farbe mit der Objekte derselben Form gezeigt (also etwa Eier in ihrem Gelege. „Von Stachelrochen
Erhöhung der anfangs gezeigten Menge um vier Quadrate), sondern eine Kombination und Buntbarschen kennt man das jedoch
eins zu assoziieren, die gelbe Zahl dagegen unterschiedlicher Formen: Kreise, Quadrate nicht“, betont die Zoologie-Professorin.
mit einer Verminderung. und Dreiecke in verschiedenen Größen. Sie sieht in dem Ergebnis der Experi-
„Die Tiere mussten also die Menge mente auch eine Bestätigung dafür, dass
andere Spezies unterschätzen der abgebildeten Objekte erkennen und wir Menschen dazu neigen, andere Spezies
Doch konnten die Fische diese Erkenntnis zugleich aus ihrer Farbe auf die Rechen- zu unterschätzen, insbesondere solche, die
auch auf neue Aufgaben anwenden? Hat- vorschrift schließen“, sagt Schlüssel. „Sie nicht zu unserer engeren Verwandtschaft
ten sie also tatsächlich die mathematische mussten beides im Arbeitsgedächtnis be- zählen. Fische seien zudem nicht beson-
Regel hinter den Farben verinnerlicht? „Um halten und sich danach für das richtige Re- ders niedlich, haben kein kuschliges Fell
das zu überprüfen, hatten wir beim Training sultat entscheiden.“ Das sei eine Leistung, oder Gefieder. „Entsprechend weit unten
einige Berechnungen absichtlich ausgelas- die komplexe Denkfähigkeiten erfordere. stehen sie in unserer Gunst – und entspre-
sen“, erklärt Schlüssel. „Und zwar 3+1 und Das gilt auch deswegen als erstaun- chend wenig scheren wir uns darum, wenn
3-1. Nach der Lernphase bekamen die Tiere lich, weil Fische keinen Neocortex besit- sie etwa im industriellen Fischfang qualvoll
diese beiden Aufgaben zum ersten Mal zu zen, die „Großhirnrinde“, die bei uns für verenden“, sagt Vera Schlüssel.
sehen und schwammen auch dann meis- die meisten komplexen kognitiven Aufga-
tens zu den korrekten Ergebnissen.“ ben zuständig ist. Zudem ist von beiden Literatur
Diese Leistung hat die Forschenden Fischarten nicht bekannt, dass sie in ihrer Sc��ue��e�, V. et al. (2022): Cichlids and
selbst überrascht – zumal die gestellten ökologischen Nische ein besonders gutes stingrays can add and subtract ‘one’ in the
Aufgaben in der Realität sogar noch ein Zahlenverständnis benötigen würden. An- number space from one to five. Scientific
Reports: https://kurzelinks.de/fischedenken
Stück schwieriger waren, als eben geschil- dere Arten mögen auf die Streifenzahl ihrer
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