Page 65 - Aquaristik Fachmagazin Ausgabe 02/2022
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Faszinierend:   Buntbarsch-Weibchen
           können  über  die  Eier  beeinflussen,  wie
           schnell ihre Nachkommen bei Gefahr die
           Flucht  ergreifen  können.  Dies  konnten
           Forschende  unter  Leitung  von  Barbara
           Taborsky von der Universität Bern anhand
           von Experimenten mit der „Prinzessin von
           Burundi“,  Neolamprologus pulcher,  erst-
           mals zeigen.
              Bei  vielen  Tier-  und  Pflanzenarten
           können  die  Mütter  Eigenschaften  wie                                                                       Fotos: Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern
           Körperbau oder Wachstum ihrer Nachkom-
           men beeinflussen. Dies kann, wie etwa bei
           Vögeln und Fischen, durch Veränderungen
           der  Zusammensetzung  der  Eier  gesche-
           hen,  oder  über  Signale  an  den  Embryo
           bei Säugetieren.
              Mütter und Väter können auch direkt
           über Brutpflegeverhalten ihre Nachkom-  sondern auch ein sich anpassendes adap-
           men beeinflussen. Die Eltern nehmen be-  tives Verhalten der Nachkommen erzeugen
           stimmte Faktoren wie Nahrungsknappheit,   könne.
           Risiko durch Räuber oder sozialen Stress
           in ihrer Umgebung wahr und senden ent-  „Teurere“ eIer
           sprechende Signale an ihre Nachkommen,   In  den  Experimenten  bekamen  Fisch-
           wobei sie sogenannte „elterliche Effekte“   Mütter mehrfach pro Woche Videoclips mit
           erzeugen. Diese Signale können die Nach-  Raubfischen gezeigt, während eine Kon-
           kommen auf die zukünftigen Umweltbe-  trollgruppe bloß Videos von leeren Aqua-
           dingungen oder Stressfaktoren nach der   rien zu sehen bekam. Nachdem bei den   Von oben: Ein Brutfisch einer na-
           Geburt oder dem Schlüpfen aus dem Ei   Nachkommen der Räuber-Versuchsgruppe     türlichen Buntbarsch-Gruppe greift
           vorbereiten.                         schnellere Fluchtreflexe gefunden wurden,   einen Räuber an.
              „In  zwei  Experimenten  mit  sozial   fragten sich die Forscher, wie die Mütter
           brütenden  Buntbarschen  haben  wir  he-  ihre Nachkommen über das erhöhte Raub-  Buntbarsch-Mutter, die einen
                                                                                           Räuber angreift, welcher in einer
           rausgefunden,  dass  Mütter  durch  eine   risiko informieren können.           Plexiglasröhre ins Territorium ge-
           gezielte Ausstattung ihrer Eier ihre Nach-  „Wir  fanden  heraus,  dass  Mütter  der   setzt wurde.
           kommen auf erhöhten Raubdruck vorbe-  Räuber-Versuchsgruppe größere und pro-
           reiten können“, erklärt Barbara Taborsky,   teinreichere Eier legten, also mehr Energie
           Professorin am Institut für Ökologie und   für jedes einzelne Junge aufwandten“, er-
           Evolution der Universität Bern. „Nachkom-  läutert Taborsky, sozusagen teurere Eier.
           men, deren Eltern während der Eibildung   Weiter unterschieden sich die jungen N.
           einen Räuber sehen konnten, produzierten   pulcher  in  den  ersten  Tagen  nach  dem
           Junge, die eine schnellere Fluchtreaktion   Schlüpfen in ihren Wachstumshormonen
           zeigten.“ Sie wiesen einen um 50 Millise-  und waren auch größer. Zusätzlich zu ihrer
           kunden schnelleren Fluchtreflex auf.  schnelleren Fluchtreaktion würde in der
              Frühere Versuche wiesen nach, dass die-  Natur auch dieser Größenunterschied den
           ser Fluchtreflex ausschlaggebend ist für die   Jungen einen Überlebensvorteil gegenüber   lITerATur
           Wahrscheinlichkeit, eine Räuberattacke zu   Räubern verschaffen.                 Sharda, S. et al. (2021): Predator-
           überleben. „Mit dieser Studie konnten wir   Es  brauche  jedoch  noch  weitere  Stu-  induced maternal effects determine
           erstmals nachweisen, dass ein mütterlicher   dien,  um  die  biologischen  Grundlagen   adaptive anti-predator behaviours
                                                                                            via egg composition. PNAS, doi.
           Effekt  auf  die  Eiausstattung  nicht  nur   derartiger mütterlicher Effekte vollständig   org/10.1073/pnas.2017063118
           Wachstum  oder  Körperbau  beeinflusst“,   zu verstehen.



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