Page 3 - diy Fachmagazin Ausgabe 10/2020
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Kommentar
Kommt ein
Zweiklassensystem?
Wie verändert Corona unsere Gesellschaft, unse Vergnügungsvierteln.“ Dafür seien Mobilität und
re Gewohnheiten, unser Konsumverhalten? Wie Nähe nötig und diese Voraussetzungen seien auf
tief gehen diese Veränderungen, schwingt das absehbare Zeit kaum gegeben.
Pendel irgendwann einmal wieder in die alte Trentmann warnt davor zu glauben, dass die
Stellung von Anfang des Jahres 2020 zurück Bürger einfach zu ihren alten Gewohnheiten zu
oder wirken diese Veränderungen länger? rückkehren würden. Die meisten würden auf Dau
Das sind Fragen, die mir während er genügsamer werden, viele unse
der Gottseidank wieder zunehmen rer Konsumvorstellungen wie regel
den Firmenbesuche regelmäßig ge mäßige Restaurantbesuche und
stellt werden. Wir haben unser Ver jährliche Urlaube seien erst vor ein
halten ja auch tatsächlich radikal bis zwei Generationen entstanden.
umgestellt in den vergangenen Mo Die Pandemie werde, so die für
naten: Wir pflegen heute unsere sozi einen Historiker ungemein mutige
alen Kontakte ganz anders als noch Vorhersage, ein Zweiklassensystem
im Januar 2020. Die meisten Mitbür befördern. Die Einen werden sich
ger agieren vorsichtiger, zurückhal LiveErlebnisse wie Reisen und Kon
tender, manche kapseln sich auch zertbesuche gönnen können, die an
stärker ein. Angela Merkel hat völlig zu Recht deren werden zuhause bleiben und die Auffüh
Corona als eine Zumutung für die Demokratie, rung vor dem Bildschirm genießen. Und er sagt
für unsere Gesellschaft und für unsere Lebensart eine Wiederbelebung von Nachbarschaften, von
bezeichnet. Wochenmärkten und kleinen Läden, von Bücher
Mir geht es so, dass ich es diesem Virus per bussen und TanteEmmaWagen voraus.
sönlich übel nehme, dass ich so viele meiner Ver Mag sein, dass das in erster Linie Gedanken
haltensweisen überdenken und anpassen muss. spiele sind und dass der Wandel nicht so drama
Das ist mir als gesellschaftlichem und politi tisch sein wird, wie es Trentmann vorhersagt,
schem Wesen zutiefst zuwider. besser aber ist, dass wir uns damit beschäftigen
Jedoch: Es ist so, wie es ist. Der Londoner und alle Möglichkeiten im Auge haben.
Geschichtswissenschaftler Frank Trentmann (no
men est omen!), der sich seit Jahren mit der Ge
schichte des Konsums beschäftigt – sein im Jahr Herzlichst Ihr
2017 erschienenes Buch „Herrschaft der Dinge“
sei an dieser Stelle jedem ans Herz gelegt –, pro
gnostiziert in einem Interview im Magazin „Spie
gel“, dass sich unser Einkaufsverhalten durch die Dr. Joachim Bengelsdorf
CoronaPandemie „radikal verändern wird.“ Das
Virus erschüttere die Grundlage, auf der unsere
moderne Konsumkultur seit 500 Jahren beruhe.
Corona verhindere den „dynamischen Austausch
von Dingen und Erlebnissen: in Geschäften, Ein
kaufspassagen, Warenhäusern, Konzerthallen, Tel.: +49/7243/575-208 • j.bengelsdorf@daehne.de
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DIY2020-10_Buch.indb 3 15.09.2020 11:05:01